Rebecca Harms

Mitglied des Europäischen Parlaments in der Grünen/EFA Fraktion 2004-2019

#ukraine    24 | 01 | 2018
Blog

Zwischen Reformagenda, Besetzung und Krieg

Anfang des Jahres 2018 bin ich mit Kollegen aus dem Europaparlament nach Kiew gereist, um gleich zu Beginn der Sitzungen in der Rada und in der Regierung über akute Streitpunkte in der  Korruptionsbekämpfung zu reden.

Nachdem Präsident Poroschenko im Dezember gegen die Verzögerung durch die Mehrheit im Parlament selbst ein Gesetz zum Antikorruptionsgerichtshof (High Anti-Corruption Court/HACC) eingebracht hatte, wollten wir unsere Unterstützung für ein Gesetz, aber auch unsere Kritik am Entwurf klarstellen.

Die Ukraine hat im Laufe der letzten beiden Jahre mit der Schaffung von Institutionen wie der neuen Polizei, dem Nationalen Antikorruptionsbüro (NABU), dem Gesetz für „e-declarations“, der Regulierung öffentlicher Ausschreibungen (prozorro) oder auch Reformen im Energiesektor, im Gesundheitssystem und zur Dezentralisierung Voraussetzungen für die systematische Bekämpfung der Korruption geschaffen. Was bisher gemacht wurde, ist sehr viel. Jetzt muss garantiert werden, dass die Gesetzgebung weitergeht, dass die Umsetzung nicht blockiert oder die Unabhängigkeit der neuen Institutionen beschnitten wird.

Bevor meine Kollegen aus dem Europaparlament in Kiew eintrafen, habe ich versucht, mir in Gesprächen mit Botschaftern, NGOs, in politischen Stiftungen und Think Tanks, mit Abgeordneten der Rada und mit Freunden ein Bild von der politischen Lage zu machen. Ende letzten Jahres waren die Auseinandersetzungen zwischen der Regierung und Teilen der Zivilgesellschaft, innerhalb der pro-europäischen Parteien, rund um Micheil Saakaschwili, um konkurrierende Staatsanwälte und ihre Ermittlungsmethoden, um die Absetzung Egor Sobolevs als Vorsitzenden des Antikorruptionsausschuss der Rada eskaliert. Auch beim Gipfel der Östlichen Partnerschaft im November in Brüssel hatte es erhebliche Spannungen gegeben. Die EU-Kommission hatte, unterstützt vom Europäischen Parlament, Zahlungen an die Ukraine verschoben. Ein wichtiger Grund waren die Blockaden bei der Korruptionsbekämpfung. Eine Schwächung des NABU wird von den Partnern nicht akzeptiert. NABU, HACC und gesetzliche Garantien für deren Unabhängigkeit zählen zu den Bedingungen, die durch das Assoziierungsabkommen, das Visa-Abkommen oder den Vertrag mit dem  Internationalen Währungsfond verankert sind. In meinen Gesprächen zeichnete sich nun ab, dass über Weihnachten die Signale aus der EU und aus den USA in Kiew angekommen sind. Egor Sobolev zum Beispiel ist heute zwar sauer, dass er nicht mehr Vorsitzender des Anti-Korruptionsausschusses ist. Aber er war recht optimistisch, dass der Druck und die konsequente Position der Partner der Ukraine eine Wirkung haben und dass die Ukraine ab 2019 auch einen funktionstüchtigen HACC haben wird. Egor und andere appellierten, den Gesetzgebungs- und Reformprozess  durch Präsenz und Zusammenarbeit weiter zu unterstützten. Meinungen darüber, ob die Anti-Reformkräfte stärker in der Rada oder mehr über Regierung und Präsidialverwaltung arbeiten, gingen wie immer auseinander. Einig waren sich alle, dass es den Blockierern um die Pflege der eigenen Interessen geht. Deshalb wurde auch darauf gedrängt, die Wahlrechtsreform voranzutreiben. Es bleibt jetzt noch ausreichend Zeit dieses Gesetz zu beraten und rechtzeitig vor den Wahlen zu beschließen.

Am 15. Januar bin ich dann zusammen mit meinen Kollegen Petras Austrevicius aus Litauen und Michael Gahler aus Deutschland in die Gespräche mit Artem Sytnyk, dem Chef von NABU und mit Generalstaatsanwalt Juri Lutsenko  gegangen. Wir haben uns mit Kostiantyn Yelisieiev, stellvertretender Leiter der Präsidialverwaltung, Iwanna Klympusch-Zynzadse, Vize-Ministerpräsidentin, sowie und mit mehreren Fraktionsvorsitzenden getroffen.

Im Mittelpunkt der Gespräche stand der Gesetzesvorschlag Präsident Poroschenkos zur Einrichtung eines Anti-Korruptionsgerichtshofes vom Dezember und die unmittelbar bevorstehende erste Lesung.  Der Internationale Währungsfond (IWF) und die Weltbank erklärten parallel zu unserem Besuch ihre Kritik am Gesetzentwurf auch öffentlich. Im Mittelpunkt unserer Kritik aus  Brüssel und der aus Washington steht die überbordende Zuständigkeit des Anti-Korruptionsgerichts in Bereichen der organisierten Kriminalität. Die Zuständigkeiten gehen weit über die des NABU hinaus. Das würde die Arbeit gegen Korruption belasten und nicht befördern. Kein Einverständnis gibt es außerdem zu dem vorgeschlagenen Auswahlverfahren für die Richter. Die internationalen Partner würden auch entgegen den Empfehlungen der Venedig-Kommission nur eine schwache beratende Rolle bekommen. Im Auswahlprozess für das NABU-Büro spielten die internationalen Partner eine entscheidende Rolle. Die Unabhängigkeit des NABUs und seines Chefs sind Ergebnis der internationalen Beteiligung. An diese Erfahrungen wollen wir bei der Auswahl der HACC Richter anknüpfen. Kritisch sehen wir auch die Bewerbungsvoraussetzungen für die Kandidaten, die unrealistisch hoch und restriktiv sind und einen viel zu kleinen Bewerberkreis zur Folge hätten. Wichtig wäre uns, das Kriterium der Integrität zukünftiger Richter am HACC höher zu bewerten.

Wir haben außer über Änderungen des Gesetzesvorschlags zur Errichtung eines Anti-Korruptionsgerichtshofs auch wieder über „e-declarations“ gesprochen. Die Bearbeitung der vielen Daten, die das Einkommen von Politikern und einflussreichen Beamten transparent machen sollen, muss endlich systematisch stattfinden. Die Software steht zur Verfügung. Wir haben auch den andauernden Druck thematisiert, der auf diejenigen ausgeübt wird, die in den NGOs für die Korruptionsbekämpfung arbeiten. Wir bekamen erneut das Versprechen, Regelungen zurückzuholen, mit denen einzelne Aktive als Korruptionsverdächtige an den Pranger gestellt wurden und stattdessen Transparenzregeln für NGOs den Regeln in EU-Staaten anzupassen. Meiner Meinung nach ist das eine Voraussetzung dafür, dass wieder konstruktive Debatten und produktiver Streit zwischen Zivilgesellschaft, Regierung und Parlament möglich sind.
Bei unseren Gesprächen mit den Staatsanwälten Sytnyk und Lutsenko schien mir die destruktive Auseinandersetzung, die Ende des Jahres zwischen den beiden und ihren Institutionen eskalierte, nicht erledigt, aber eingehegt. Auch hier scheint angekommen zu sein, dass Brüssel und Washington hinter dem NABU stehen und diese Behörde als unverzichtbare Errungenschaft sehen und unterstützen.

Wenn das ukrainische Parlament es jetzt schafft, ein gutes Gesetz für einen Anti-Korruptionsgerichtshof zu verabschieden, der ab 2019 effektiv arbeiten kann, dann ist mehr passiert als in den allermeisten anderen Ländern, die sich mit Korruption herumschlagen. Die  Kritik, die meine Kollegen und ich in Kiew in jedem Gespräch auch denen vortrugen, die sie nicht hören wollten, scheint aber Früchte zu tragen und mein Eindruck nach unserer Reise ist vorsichtig optimistisch. In den Tagen nach der Reise gab es Erklärungen aus der Rada, Änderungen an dem HACC Gesetz vornehmen zu wollen.

Die Support Group der EU -Kommission, die EU-Botschaft und die Botschaften der Mitgliedstaaten arbeiten gemeinsam mit den ukrainischen Kollegen und Institutionen sehr systematisch an der Umsetzung der Verpflichtungen aus dem Assoziierungsabkommen und der Visaregelung. Ich denke, dass es auch so weitergehen muss mit Zusammenarbeit und Kritik. Wir dürfen aber auch nicht das Bewusstsein für die Dimension der Herausforderungen verlieren. Und allen Beteiligten muss auch klar sein, dass nach der Gesetzgebung die Implementierung nicht immer einfach ist.
Die ukrainischen Politiker, aber auch die wichtigen Akteure aus der Zivilgesellschaft gehen in ein weiteres forderndes Jahr. Eine Abkehr von Reformen zugunsten der Interessen aus dem Oligarchentum wird in der Ukraine sehr negativ wirken. Viele Ukrainer denken nicht, dass der Euromaidan falsch war. Aber es wird schwer, auf Veränderung zu hoffen. Der Krieg im Donbas und die Besetzung der Krim verursachen ein Gefühl der Aussichtslosigkeit, das auf die Politik und die Lage im Land insgesamt übertragen wird. Auch gegen das Gefühl der Aussichtslosigkeit sollte die EU eine konsequente, verantwortungsvolle Begleitung setzen. Mir ist völlig klar, dass der Prozess der Veränderungen von den Ukrainern geschultert werden muss und auch schon wird. Aber sichtbar für die Ziele des Euromaidan in Kiew einzutreten, stärkt auch das Vertrauen in die Europäische Union und in die Zukunft.
 


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