Rebecca Harms

Mitglied des Europäischen Parlaments in der Grünen/EFA Fraktion 2004-2019

#flüchtlinge    19 | 12 | 2016
Blog

Bewegende Reden zur Verleihung des Sacharow Preises

Die letzte Sitzung des Europäischen Parlamentes im Jahr 2016 war sehr stark bestimmt von der Verleihung des Sacharow Preises. Nicht nur die Preisträgerinnen, die Jesidinnen Nadia Murad und Lamiya Aji Bashar, waren nach Straßburg gekommen, auch die beiden anderen Nominierten der Shortlist besuchten das Parlament und sprachen mit uns über ihre Anliegen.

Die jesidischen Preisträgerinnen, die der mörderischen Verfolgung und Versklavung entkommen konnten, leisteten allein an den Tagen in Straßburg Übermenschliches durch ihre tapferen Reden und ihren Kampf um Wahrnehmung und Wahrheit, um Rettung für die Jesiden vor einem Genozid. Allen in Straßburg wurde zum Ende dieses Jahres noch mal die Brutalitäten der Kriege und Verheerungen im Nahen und Mittleren Osten bewusst. Geradezu mit Händen zu greifen war im Plenarsaal auch das Wissen darum, wie weit die Erfordernisse aller Verfolgten und Flüchtlinge in der ganzen Region und die europäische Hilfe auseinanderliegen. Die Rede von Lamiya Aji Bashar bei der Preisverleihung trieb manchen Abgeordneten die Tränen in die Augen. Sie sollte weiter gehört werden (Link zu Lamiyas Rede).

Auch die Nominierten der Shortlist, der türkische Journalist Can Dündar und der langjährige Vorsitzende des Parlamentes der Krimtartaren, Mustafa Dzhemiliev, waren nach Straßburg gekommen. Can Dündar lebt heute im Exil, weil er über Waffenlieferungen aus der Türkei an den IS in einer Fernsehreportage berichtet hat, gestützt auf Filmbilder, die diese Lieferungen belegen. Auf Can Dündar wartet deshalb in der Türkei ein Haftbefehl. Er muss mit einer unerbittlichen Haftstrafe rechnen, weil er seine Arbeit als Journalist gemacht hat. Nachdem er bereits monatelang im Gefängnis war, hat er sich für das Exil entschieden. Seiner Frau wurde inzwischen der Pass abgenommen. Sie ist eine der Geiseln der türkischen Regierung aus Familien von Journalisten, die von der türkischen Justiz gesucht werden. Allein das macht das Exil sehr bitter. Ohnehin ist das Exil für Journalisten nicht einfach. Im Gespräch mit Can Dündar wurde mir noch einmal bewusst wie schwer es für ihn ist,  jetzt nur von außen zum Rückfall der Türkei in einen autoritären Staat schreiben zu können. Und wie bedrohlich es ist, dass die EU sich von der Türkei abwenden könnte während Putin zum Vorbild und Verbündeten Erdogans wird.

Mustafa Dzhemilevs persönliche Geschichte hat uns noch einmal den Namensgeber des Menschenrechtspreises nahe gebracht. Es war Sacharow, der Mustafa Dzhemilev aus dem sowjetischen Gefängnis befreit hat. Die beiden waren Freunde. Mustafa hat als Dissident das Ende der Sowjetunion erlebt. Er hat sein von der Krim deportiertes Volk mit zurück in die Heimat auf der Halbinsel Krim gebracht. 2014 wurde die Heimat der Tartaren von russischen Truppen besetzt. Heute ist das Parlament der Tartaren wieder verboten. Die Tartaren haben das Recht verloren, sich zu organisieren. Wer sich widersetzt und für die Rechte der Tartaren oder auch der Ukraine eintritt, macht sich strafbar. Hausdurchsuchungen, inszenierte Gerichtsverfahren, Gefängnis- und Lagerstrafen sind wieder alltäglich auf der Krim. Etliche Krimtartaren sind in den letzten Jahren spurlos verschwunden. Dzhemilevs eigener Sohn kam erst vor kurzem aus russischer Haft frei. Ein UN Bericht bestätigt die Schwere  der Menschenrechtsverstöße auf der Krim. Mustafa Dzhemilev ist ein bescheidener Mann, beeindruckt mit einem ganzen Leben, das der Freiheit nicht nur für die Tartaren gewidmet ist.

Die Sacharow Preistägerinnen haben uns an unsere Pflicht und Schuldigkeit gegenüber den Jesiden, aber auch gegenüber anderen Verfolgten und Vertriebenen erinnert. Gemeinsam mit den Nominierten haben sie uns zum Ende des Jahres mit den großen Herausforderungen für uns Europäer konfrontiert.

> Alle Reden anlässlich der Verleihung des Sacharow-Preises 2016


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