Rebecca Harms

Mitglied des Europäischen Parlaments in der Grünen/EFA Fraktion 2004-2019

#ukraine    23 | 12 | 2013
Blog

Sie betreten die Europäische Zone.

Aus Kiew kommen gerade wieder die Bilder der Sonntagsdemonstration auf dem Maidan. Und allen politischen Klugscheißern, die es sich weit im Westen von Kiew vor den Monitoren bequem gemacht haben und unken, dass mit dem Deal zwischen dem russischen und dem ukrainischen Präsidenten nun alle wieder Ruhe geben werden und der Aufstand vorbei sei, denen sei gesagt: Die Leute in Kiew wollen weder dem Winter noch der Regierung oder Präsident Janukowitsch nachgeben. Auch die Wirkung der Verträge mit Wladimir Putin, die der Ukraine günstiges Gas und Wirtschaftshilfe versprechen, ist nicht stärker als der Wille, der die neue Bürgerbewegung in der Ukraine eint. Die Bürger wollen nicht länger dem Weg folgen, den sie aus dem Nachbarland Weißrussland kennen. Absurd, dass viele neunmalkluge Ost-Experten, die gut in der EU leben, nicht müde werden zu erklären, zumindest die Mehrheit der Menschen im Osten der Ukraine wolle eine enge Bindung an Moskau. Die, die Genscher und Merkel zur Freiheit von Chodorkowski gratulieren, können einfach nicht glauben, dass wenn einer heute die Wahl hat zwischen Russland und der EU, dass der sich dann meistens nicht für Russland entscheidet. Was läuft in diesen Expertenköpfen eigentlich ab?

Es stimmt: Niemand will in Kiew den Abbruch der Beziehungen zu Russland. Warum auch? Die Beziehungen des Westens zu Moskau laufen ja auch wie geschmiert. Die neue Bewegung will den demokratischen Weg der Ukraine neu vermessen. Sie will nicht nur einmal alle paar Jahre ein Parlament und den Präsidenten wählen. Sie will, dass ihre Gewählten dann endlich auch mal die Interessen der Bürger und des Staates in den Mittelpunkt stellen. Die Menschen in der Ukraine wissen, dass Staaten anders und besser funktionieren können. Sie wissen, dass Rechtsstaatlichkeit möglich ist, dass es gerechtere Steuersysteme und funktionierende Krankenhäuser und bessere Schulen auch in der Ukraine geben kann. Viel mehr als in den Neunzigern oder 2004, in der Pomeranzenrevolution, wissen die Euromaidaner, dass ein guter Staat, der für die Menschen da ist, möglich ist. Was sie brauchen, sind zuhause die Politiker und Politikerinnen, die dafür antreten und mit ihren Parteien diesen Willen in glaubwürdige Programme und Politik umsetzen.

 

Damit es so kommen kann, darf der Westen des Kontinentes sich nicht mit kaltschnäuziger und self-fulfilling prophecy blamieren. Die neue Demokratiebewegung im größten Land im Osten der EU braucht größte Unterstützung und Zuneigung von uns. Noch einmal: Es ist absurd, wenn man sich über die Gnadenakte Putins freut und dann aber den Bürgern der Ukraine, Julia Timoschenko und allen anderen politischen Gefangenen jetzt nicht nach bestem Vermögen beisteht. Gerade weil der russische Präsident mit seinen Entscheidungen ja nicht nur gute Stimmung für Sotschi will. Auch sein wachsender Wille nach direktem Einfluss in der Ukraine soll mit der neuen Milde übertüncht werden. Wir werden sehen, was in den nächsten Tagen passiert. Die Forderungen des Euromaidan sind ja bekannt. Die EU kann nicht so tun, als sei sie nicht angesprochen. Es braucht nicht nur Unterstützung für den so sympathischen Vitali Klitschko: Die Europäer müssen sich zeigen. Die Highlevel Gruppe zur Ukraine sollte als Angebot gegründet werden. Politiker aus der EU müssen viel präsenter in Kiew sein. Sie müssen auch noch viel mehr hinhören und hinschauen, was und wer da eigentlich los ist. Sie werden dann schnell begreifen, dass, egal wie Präsident Janukowitsch weiter agiert: diese Bewegung wird sich nicht davon überzeugen lassen, dass ein Staat wie der russische für sie ein Model ist. Ich glaube übrigens, dass Moskau die Stärke des Euromaidan leider schneller und besser verstanden hat als Brüssel, Berlin oder Paris. Und deshalb wird die Hilfe für die Ukraine noch großzügiger versprochen als gedacht.

Die EU kann und soll sofort ein schlichtes Signal an diese wunderbare europäische Demokratiebewegung 25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs geben: Visabedingungen für die Ukraine müssen sofort so einfach und billig wie möglich werden. Ein Visum kostet einen Euro und kann in der EU Botschaft und europäischen Konsulaten überall in der Ukraine beantragt und ausgestellt werden! Wir müssen es den Ukrainern, die sich seit Wochen in die Herzen der Bürger der EU singen und rufen und sogar beten, endlich leichter machen an unsere Freundschaft zu glauben.

Ich weiß nicht, ob jetzt nach den spektakulären Gnadenentscheidungen durch Wladimir Putin eine Reisewelle nach Sotschi rollt. Ich jedenfalls werde sooft ich kann nach Kiew reisen und sobald wie möglich auch weiter in den Osten des Landes.


#ukraine   #demokratie   #russland   #rechtsstaat