Rebecca Harms

Mitglied des Europäischen Parlaments in der Grünen/EFA Fraktion 2004-2019

#ukraine    07 | 03 | 2017
Blog

Meine Reise nach Awdijiwka im Donbas

Als Zivilistin, die aus dem Frieden Westeuropas kommt, bin ich jedes Mal neu erschrocken über die Wucht des Krieges und die Dimension der Zerstörung.

 

Seit Beginn des Krieges in der Ukraine war ich nun zum 5. Mal an der Frontlinie. Ich kenne einige Städte und Dörfer aber schon seit vielen Jahren. Das Leben dort war für die Leute nie einfach oder gut. Als Zivilistin, die aus dem Frieden Westeuropas kommt, bin ich seit Beginn des Krieges immer wieder erschrocken über die Wucht des Krieges und die Dimension der Zerstörung. An vielen Orten sind die Lebensbedingungen unerträglich. Wenn man durch den Wald bei Awdijiwka geht und kein Baum ist mehr heil, dann versteht man die Wucht des Beschusses. Und dann trifft man in diesem Wald auf die so jungen Männer, die in diesem Feuer ihren Kopf hingehalten haben. Keiner der jungen ukrainischen Soldaten, die ich gesprochen habe, wollte diesen Krieg. Aber zurückweichen vor der weiteren Besatzung der Ukraine wollte auch keiner.
 
Unter der Zivilbevölkerung in Awdijiwka ist es so wie ich es schon im Sommer 2014 bei meinem ersten Besuch in Slavjansk erlebt habe: Die Menschen wollen den Krieg nicht. Sie wünschen sich ein normales Leben zurück. Inzwischen heißt das an vielen Orten in der Nähe der Front ganz bescheiden nur noch: das Schießen soll aufhören. Ich habe mit den Leuten aus der Verwaltung geredet, die versuchen so gut es geht, die Schäden des schweren Beschusses in den Griff zu bekommen, die Versorgung mit Strom, Wärme und Wasser sicherzustellen. Ich habe Feuerwehrleute getroffen, die nach den Angriffen wieder einmal einsturzgefährdete Häuser sichern. Die Situation wird erst wirklich besser werden, wenn es keinen Beschuss mehr gibt. Aber die Leute in Awdijiwka glauben nicht an einen Waffenstillstand.
 
Wer ist schuld? Seit der Besetzung der Krim gehen Meinungen dazu selbst im Osten der Ukraine auseinander. Und die Verbitterung über das immer schlechtere Leben ist groß. Ich kann das verstehen. Aber die Wahrheit bleibt, dass es nicht die ukrainische Regierung gewesen ist, die diesen Krieg angefangen hat. Und dass es diesen Krieg nicht gäbe, wenn Wladimir Putin das nicht wollte.
 
Ich bin inzwischen sicher, dass wir keinen Waffenstillstand erreichen, wenn die Kontaktlinie nicht zum Beispiel von Blauhelmen garantiert wird. Nur ausgehend von einem Waffenstillstand und dem Abzug der russischen Waffen und Soldaten aus der Ukraine kann Frieden entstehen. Bessere Verhältnisse und wirklicher Wiederaufbau sind erst dann möglich. Ich denke, dass die EU viel offensiver humanitäre Hilfe für die Menschen im Osten leisten muss. Es müsste jede Woche ein großer blauer Hilfskonvoi mit dem Sternenbanner nach Mariinka, Awdijiwka oder anderswo rollen. Ich habe während meines Besuches im Osten auch EU-Kommissar Stylianides getroffen und werde mit ihm über neue Schwerpunkte für Hilfe aus der EU reden.
 
Wie es mit dem Minsker Abkommen weitergehen kann, ob es dazu Alternativen gibt, das werde ich oft gefragt. Ich wäre glücklich, wenn ich eine einfache Antwort darauf wüsste. Wichtig ist, dass aus dem Westen und der EU nicht dauernd widersprüchliche Signale kommen. Die Russlandsanktionen dürfen nicht aufgegeben werden. Die Sanktionen sind die Grundlage einer nicht-militärischen Antwort auf die Aggression. Und jetzt ist eine Bewertung der Gründe wichtig, weshalb Minsk nicht funktioniert. Vor neuen Gesprächen muss eine ehrliche Bilanz seitens der EU gezogen werden. Es darf nicht einfach wieder nur ein Appell an die "beiden Seiten" gerichtet werden. Die Besetzung von Teilen der Ukraine muss als Besetzung benannt werden. Und der Besetzer muss seine Waffen aus der Ukraine abziehen. Wenn das nicht passiert und stattdessen weiter immer wieder schwere Kämpfe stattfinden, dann müssen wir uns fragen, was degegen getan werden kann. Ich war schon beim ersten Minsk Abkommen der Meinung, dass die Kontaktlinie von Blauhelmen gesichert werden müsste und dass die Beobachtung durch die OSZE gut gemeint, aber allein nicht ausreichend ist. Die politischen Architekten der Abkommen von Minsk müssen erkennen, dass die Ukraine Frieden braucht. Aber dass die russische Seite den Ukrainern diesen Frieden nicht lassen will. Wladimir Putin hat offenkundig ein Interesse daran, den Krieg immer wieder aufflammen zu lassen. Gerade wer für eine diplomatische Lösung gestützt auf Sanktionen eintritt, muss das sehen. Neue Verhandlungen dürfen diese Erfahrung aus den letzten Jahren nicht ignorieren.

 


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