Rebecca Harms

Mitglied des Europäischen Parlaments in der Grünen/EFA Fraktion 2004-2019

#ukraine    22 | 10 | 2008

Gedenken an den Holodomor, die große Hungersnot in der Ukraine (1932-1933)

Rede von MdEP Rebecca Harms im Europäischen Parlament am 22. Oktober 2008

Rebecca Harms, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. Es gilt das gesprochene Wort. – Frau Präsidentin! Ich habe fast denselben Einstieg in meinen Beitrag gewählt wie der Kollege Tannock. Das kommt nicht so oft vor. „The past is the prologue of the future .“ Das steht in Washington vor dem Eingang zu den nationalen Archiven, und das mit gutem Grund. Mit diesem Satz verbindet sich die Hoffnung, dass Menschen aus der Geschichte lernen können. Das geschieht auch manchmal. Das geschieht nicht immer. Wir können es jedenfalls versuchen.

Ich stelle immer wieder fest – und der Antrag zum Holodomor war eine dieser Gelegenheiten, dies festzustellen –, dass über die Geschichte des letzten Jahrhunderts in Europa längst noch nicht alle Kapitel in Ost und West gleichermaßen bekannt sind. Als es in den Fraktionen Debatten gab, ob wir diese Entschließung heute eigentlich brauchen, herrschte eine grundsätzliche Skepsis; beim Nachfragen hat man aber festgestellt, dass die meisten der Kollegen gar nicht wussten, was Holodomor eigentlich heißt, wofür das steht. Es ist vielleicht der Einstieg in ein gemeinsames Lernen über einen so furchtbaren Teil der Geschichte, die sich mitten in Europa abgespielt hat und die ja noch nicht einmal ein Jahrhundert, sondern erst etwas mehr als ein halbes Jahrhundert zurückliegt, und wo wir jetzt noch die Chance haben, vielleicht die Geschichte mit Überlebenden richtig zu schreiben.

Wir als Fraktion der Grünen stellen in den Mittelpunkt dieses Bekenntnisses, der Unterschrift unter die Entschließung, das Gedenken an die Opfer dieser Tragödie. Wir glauben, dass das Wissen um diese Tragödie, um dieses große Verbrechen des sowjetischen Regimes, die Voraussetzung für eine angemessene Würdigung der Opfer ist.

Als Zweites wünschen wir uns eine gemeinsame Bearbeitung dieser Geschichte in der Ukraine und in Russland. Was wir nicht wollen – und das sage ich als Deutsche, die in den Fünfziger Jahren geboren wurde –, ist, dass die Bearbeitung dieser Geschichte und eine gute, angemessene Geschichtsschreibung den Graben zwischen Völkern vertieft. Das wollen wir weder innerhalb der Ukraine, noch zwischen der Ukraine und Russland.

Als eine wichtige Voraussetzung sehe ich deshalb die Öffnung der Archive an. Das ist die Forderung, die unbedingt durchgesetzt werden muss. Auch im Europarat sollte darüber geredet werden, dass Moskau die Archive dazu öffnet.

Ich bin sehr froh, dass es dem Europäischen Parlament gelungen ist, eine Position der Einigkeit dazu zu finden. Ich würde mir wünschen, dass in der Ukraine wirklich die Geschichtsschreibung, die Würdigung der Opfer im Mittelpunkt steht und dass es mit dieser Katastrophe keinen instrumentalisierenden Umgang gibt. Dann wären wir dem Wunsch, dass tatsächlich Völker aus der Vergangenheit lernen, einen großen Schritt näher gekommen.


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