Rebecca Harms

Mitglied des Europäischen Parlaments in der Grünen/EFA Fraktion 2004-2019

#russland    31 | 07 | 2014

n-tv Interview zu EU-Sanktionen gegen Russland: "Was Frankreich macht, ist Irrsinn"

Russland hat die europäische Friedensordnung mit Füßen getreten. Davon ist Europapolitikerin Rebecca Harms überzeugt. Fragwürdige Waffenexporte, Zensur, Menschenrechtsverletzungen - einverstanden mit dem, was ihre Partner in der EU und Kiew tun, ist die Grüne allerdings auch nicht.

 

n-tv.de: Mit einer Reihe weiterer Sanktionen will die EU Russland unter Druck setzen. Aber müsste sie nicht zugleich auch die Führung in Kiew härter anpacken?

Rebecca Harms: In der EU sieht man mehrheitlich das Selbstverteidigungsrecht Kiews gegen die prorussischen Separatisten. Ich gehöre aber auch zu denjenigen, die sagen: Der Einsatz der ukrainischen Armee ist nicht unproblematisch. Es gibt das Recht auf Selbstverteidigung, aber natürlich müssen auch Menschenrechte gewahrt bleiben.

Lassen Sie uns an dieser Stelle ins Detail gehen und …

Es ist sehr schwer, die Details zu beurteilen.

Die ukrainische Armee hat nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch gegen internationales Recht verstoßen - durch großangelegte Angriffe mit zivilen Opfern. Unter Völkerrechtsexperten gilt auch eine Belagerung von Großstädten wie Donezk als rechtswidrig.

Einerseits muss man sagen: Die Ukraine hat diesen Konflikt nicht angefangen. Andererseits gilt: Es ist in der Tat sehr problematisch, wenn Wohngebiete in Großstädten unter Beschuss kommen. Selbst wenn es den Regierungstruppen gelingen wird, Donezk und Lugansk militärisch "zurückzugewinnen", wird die Gesellschaft durch Besetzung und Befreiung weiter Schaden nehmen. Deshalb ist es so wichtig, dass der ukrainische Einsatz die Zivilbevölkerung verschont.

Vor wenigen Tagen sorgte noch eine weitere Meldung für Aufsehen: Kiew will russische Filme und Bücher vom ukrainischen Markt verdrängen. Das klingt nach Zensur.

Ich kann das einerseits verstehen - angesichts einer unglaublich verunglimpfenden und rohen russischen Propaganda im Fernsehen und anderen Medien. Im Westen muss man sich schon klarmachen, mit welcher Herablassung die russische Propaganda die Menschen in der Ukraine behandelt. Fast ein Blick wie auf Ungeziefer, auf Faschisten und Nazis in Kiew. Trotzdem ist Zensur immer ein schlechtes Mittel. Durch Verbote wird die Auseinandersetzung nicht gewonnen. Wichtig wäre, Kanäle zwischen vernünftigen aufgeklärten Russen und Ukrainern offenzuhalten.

Im Augenblick hat die Ukraine nicht einmal mehr eine richtige Regierung. Die Koalition ist zerbrochen. Das soll Neuwahlen ermöglichen, doch bis Oktober muss nun in angespannter Lage eine Interimsführung übernehmen.

Es ist wichtig, dass die Ukraine ein neues Parlament wählt. Ob das jetzt der richtige Zeitpunkt war, diese Neuwahlen so früh anzusetzen, darüber kann man streiten. Ich glaube, für die Stabilisierung der Ukraine wäre es vernünftiger gewesen, man hätte sich ohne Bruch der Koalition auf einen Neuwahltermin geeinigt. Es wäre gut, wenn auch neue politische Kräfte aus der demokratischen Bürgerbewegung eine faire Chance hätten.

Zusammengenommen kann all das durchaus so wirken, als würde Kiew zusehends das angemessene Maß im Kampf gegen die Separatisten aus dem Blick und zugleich die Kontrolle verlieren. Was muss der Westen tun, um die Dinge zum Positiven zu wenden?

Das Wichtigste ist, dass der Friedensplan von Poroschenko nicht vergessen wird. Die EU muss weiter versuchen, dafür mit allen nicht-militärischen Mitteln zu sorgen. Dazu braucht es zuerst die Waffenruhe. Und die wird es nur gehen, wenn erreicht wird, dass die russische Grenze, über die Waffen, Geld und Kämpfer kommen, dicht gemacht und so der Nachschub für die Separatisten unterbrochen wird. Ich glaube nicht, dass die Destabilisierung der Ukraine beendet werden kann, solange die selbsterklärten Separatisten Material über Russland bekommen. Durch die Eskalation der letzten Monate wird die Ukraine in einen immer heftigeren Krieg hineingezogen. Unser europäischer Wankelmut gegenüber der Ukraine diente eher der Eskalation. Denn die Ukrainer haben zunehmend das Gefühl, auf sich allein gestellt zu sein bei der Verteidigung ihrer Rechte. Unsere Appelle auch an die Kiewer Regierung, die Menschenrechte zu achten, drohen in diesem Sog der Eskalation unterzugehen.

Damit sind wir wieder bei den Sanktionen. Reicht das aus, was die Regierungschefs der EU nun beschlossen haben, um die Eskalationsspirale zu durchbrechen?

Das Wichtigste ist, dass alle Mitgliedsstaaten zu dem stehen, was sie vereinbart haben. Ich habe als Erstes zum Beispiel vorgeschlagen, dass die Mistral-Kriegsschiffe aus Frankreich nicht nach Russland geliefert werden dürfen. Für so etwas bedarf es natürlich der Solidarität der Mitgliedsstaaten. Die Nato könnte die Schiffe kaufen, damit es in Frankreich keine Probleme gibt. Damit wird auch ein neuer Rüstungswettlauf gebremst.

Die Regierungschefs haben die Sanktionen aber so beschlossen, dass Frankreich die Kriegsschiffe trotzdem liefern kann. Bereits vereinbarte Waffenlieferungen sind nicht betroffen.

Ja, mindestens ein Schiff soll wohl geliefert werden. Aber was Frankreich da macht, ist doch Irrsinn - eine Atommacht, gegen die man auf keinen Fall militärisch vorgehen will, wird noch aufgerüstet. Russland hat gerade die europäische Friedensordnung mit Füßen getreten. Manche mögen noch über Donbass streiten. Niemand kann bestreiten, dass Russland mit einer ethnischen Begründung die Krim besetzt und annektiert hat.

Die Sanktionen reichen also nicht.

Die EU muss jetzt zwei Signale senden, um wirken zu können. Erstens: Es gibt keinen europäischen Staat, der die Sanktionen unterläuft. Zweitens: Es geht uns nicht darum, Russland herabzusetzen. Wir wollen das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine schützen.

 

Mit Rebecca Harms sprach Issio Ehrich


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