Rebecca Harms

Mitglied des Europäischen Parlaments in der Grünen/EFA Fraktion 2004-2019

#ratspräsidentschaft    16 | 07 | 2008
Blog

Kleiner Mann ganz groß

Nun war er da, der kleine große Präsident aus Frankreich, der die nächsten 6 Monate die Geschicke der Europäischen Union lenken soll. 

Und er hat ordentlich Eindruck gemacht. Ein wirklich perfekter Auftritt eines wirklich redegewandten Mannes. Erstaunlich, wie er uns gefesselt hat und wie wir Abgeordneten an seinen Lippen hingen. Aber bei aller Brillanz der freien Rede: Was soll man ihm glauben? Und wo muss man gegenhalten? Zum Thema China und olympischer Eröffnungsshow hat er gezeigt, dass auch für ihn die Menschenrechte zurückstehen müssen, wenn er die Exportgeschäfte französischer Unternehmen gefährdet sieht. Der gleiche Mann erklärt in derselben Rede, beim Klimaschutz habe er besser als alle anderen verstanden worum es geht: Schauen wir mal!

 

Ich war gegenüber den Männern, die die Welt retten müssen und wollen, schon immer furchtsam. Und die Passage der Rede, die davon handelte, dass nur er und seine Generation - und das heißt wir und er vorneweg - die Welt vor dem Untergang bewahren kann, muss zu denken geben. Mit der Begründung Klimaschutz soll ja von Frankreich aus die Atomkraft als wunderbare Lösung der Energieprobleme in der Welt verbreitet werden.

 

Angst vor Sicherheitsrisiken? Angst vor Terror? Angst vor Missbrauch und Atombomben? Doch nicht die Franzosen! Die haben ja auch jahrelange Erfahrungen mit der iranisch-französischen Urananreicherungsanlage in Südfrankreich. (Siehe Eurodif)

Ich bin gespannt, was von den vielen Ansagen von Präsident Sarkozy bleiben wird. Ob er die Lissabon-Krise lösen kann, ist schwer zu sagen. Aber Zweifel daran hätte man auch bei jedem anderen der Staatschefs der EU.

 

Ich selber wünschte mir schon die Veränderungen im Gefüge zwischen Rat, Kommission und Parlament, den größeren Einfluss und die intensivere Einbeziehung der nationalen Parlamente. Brüssel und alles wofür es steht würde demokratischer werden mit dem neuen Vertrag. Aber jenseits der Frage zu den Unterschieden für die Europäische Demokratie, die zwischen dem jetzt gültigen Vertrag von Nizza und dem von Lissabon liegen: Selbst wenn der Lissabon Vertrag mit Ach und Krach zustande käme, brauchen wir ein großes und neues Gespräch mit unseren Bürgern in allen EU-Ländern.

 

Die Europäer wollen nach den großen Veränderungen durch die Erweiterung und in Zeiten der Globalisierung eine neue Verständigung über ihr Europa. Die große europäische Erzählung von den gemeinsamen Werten, Frieden und Freiheit wurzelt in der Vergangenheit, in den Kriegen und den Schrecken des letzten Jahrhunderts.

 

Wer Europa weiter stärken will, muss den Zweifeln der Bürger an der gemeinsamen Zukunftsfähigkeit nachgehen, sie ernst nehmen und mit ihnen gemeinsam beantworten. Die Fragen zur Abgrenzung des Nationalen gegenüber dem Gemeinsamen oder zur Undurchschaubarkeit des so großen Europas, die Enttäuschung über die fehlende soziale Dimension der EU dürfen nicht brüsk zurückgewiesen werden sondern müssen beantwortet werden.

Vielleicht können wir einen Zipfel von dieser neuen Verständigung über unser Europa während der grünen Sommeruniversität zu fassen kriegen.

Schönen Sommer bis wir uns dann an der Viadrina und im Collegium Polonicum treffen...

 

Mehr zum Thema französische Ratspräsidentschaft:

 

"Nicholas Sarkozy im Straßburger Plenum", Video mit Rebecca

"Iren sollen erneut abstimmen", taz.de

"Grüne kritisieren Export französischer Nukleartechnologie", PR inside

"Sarkozy erwärmt die Herzen", FR online


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