Rebecca Harms

Mitglied des Europäischen Parlaments in der Grünen/EFA Fraktion 2004-2019

#georgien    29 | 08 | 2008

Rebecca Harms im Interview mit der HAZ zur Georgien-Krise

“Europa muss einen dritten Weg gehen"

 

Frau Harms, sehen Sie durch die Georgien-Krise die europäische
Sicherheitsarchitektur bedroht?

 

Rebecca Harms: Auf jeden Fall ist in den vergangenen Tagen deutlich geworden, dass Frieden
nichts ist, was man auf Dauer gepachtet hat. Das Wort vom Kalten Krieg
gefällt mir nicht. Ich würde die Situation, die wir jetzt haben, eher einen
“kalten Frieden³ nennen.

 

Befürchten Sie, dass Russland nach Abchasien und Südossetien weitere
Expansionsgelüste hat? Immerhin sind Sie im Europaparlament auch Mitglied
des Parlamentsausschusses für die Ukraine.

 

 Rebecca Harms: Auf jeden Fall darf die Entwicklung so nicht weitergehen, nach der Devise:
“Nehmt ihr euch den Kosovo, nehmen wir uns ein Stück vom Kaukasus.³ Ich
glaube, die EU muss einen tragfähigen Weg finden, wie man sich gegenüber
Russland verhält. Das muss aber auch ein Weg mit Russland sein.

 

Muss man Sorge haben, dass die neuen osteuropäischen Mitgliedsländer der EU
aus unmittelbarer Betroffenheit einen harten Kurs gegenüber Moskau fordern
und damit die gesamte EU in Schwierigkeiten bringen?

 

Rebecca Harms: Ich kann mit Blick auf die Geschichte die Angst von Balten oder Polen
verstehen und begreifen. Aber ich teile die Befürchtungen nicht. Wann immer
ich mit den Menschen in Russland spreche, habe ich nicht den Eindruck, dass
sie an kriegerischen Auseinandersetzungen interessiert sind. Russland will
auch vom Westen nicht immer wieder behandelt werden wie ein Aggressor. Man
kann nicht einerseits erwarten, dass Moskau zur Lösung anderer Konflikte ¬
wie im Iran ¬ beiträgt, wenn man andererseits das Land immer wieder als
potenziellen Angreifer darstellt. Ich glaube nicht, dass es klug war, die
US-Raketenabwehr in Polen und Tschechien vertraglich durchzusetzen und dort
Abfangraketen auch in Richtung Russland zu installieren. Diese sehr
widersprüchliche Politik muss beendet werden.

 

Welche Haltung sollten die 27 EU-Mitgliedsstaaten bei ihrem Sondergipfel in
der nächsten Woche einnehmen?

 

Rebecca Harms: Ich glaube, dass es wichtig ist, jetzt verbal abzurüsten, wie es auch
Außenminister Frank-Walter Steinmeier empfohlen hat. Ich bin dafür, mit
Blick auf Staaten wie die Ukraine oder Georgien einen dritten, einen
europäischen Weg zu beschreiten. Statt jetzt einer schnellen
Nato-Erweiterung das Wort zu reden, sollte ein ziviles Angebot der EU an
diese Staaten die Antwort sein. Das wäre auch den Russen politisch zu
vermitteln, das wäre ein kluger Weg.

 

Also raten Sie dem EU-Gipfel von Sanktionsbeschlüssen dringend ab?

 

Rebecca Harms: Ja. Ich halte Sanktionen für keine gute Idee.

 

Interview: Christian Holzgreve

 

 


#georgien   #osteuropa   #russland