Rebecca Harms

Mitglied des Europäischen Parlaments in der Grünen/EFA Fraktion 2004-2019

#flüchtlinge    10 | 11 | 2016
Blog

Besuch im jesidischen Flüchtlingscamp Petra

Bericht über einen Besuch am 29.10.2016 in dem Camp in Nordgriechenland, das nur von Jesiden aus dem Irak bewohnt wird

Am 29.10.2016 besuchte ich das Flüchtlingscamp bei Petra in der Nähe der griechischen Stadt Katerini. Die Bürgerinitiative Kapnikos hatte mich gebeten, dort einen Besuch zu machen. In dem Camp sind seit Mai 2016 ausschließlich Jesiden aus dem Irak untergebracht. Zum Zeitpunkt meines Besuches waren es 1260 Personen, viele Familien, viele Kinder und auch sehr viele ältere Männer und Frauen.

Dieses Camp auf dem Gelände des Klosters von Petra wurde allein für die Jesiden aufgebaut nachdem es in anderen Flüchtlingscamps in Griechenland immer wieder verbale und körperliche Angriffe, Unterdrückung und andere Bedrohungen gegen sie gegeben hatte. Zeitweise konnten sie zum Beispiel in Idomeni nur noch nachts ihre Essenszuteilungen bekommen, weil andere Flüchtlinge sie ausschließen wollten. Sie mussten deshalb heimlich und außerhalb des Camps ihre Zuteilungen abholen. Zeitweise wurden sie gar nicht versorgt, weil andere Flüchtlinge es verhinderten. Es waren erschreckende Berichte, über schlimmste Diskriminierung selbst der jesidischen Kinder, die ich zu hören bekam. Eine Gruppe älterer Frauen hatte sich versammelt um uns davon zu berichten, wie die Jesidenfamilien im Irak durch den IS gelitten hatten. Die unvorstellbaren Gräueltaten will ich hier nicht nacherzählen. Die Gräueltaten des IS an den Jesiden werden von Fachleuten der Vereinten Nationen als Genozid bewertet. Erschüttert hat mich sehr, dass die Unterdrückung und Verfolgung in anderer Art während der Flucht und in Griechenland weiter gingen. Das Camp in Petra ist der erste Ort, an dem die dauernde Verunglimpfung und Bedrohung aufgehört hat.

Ein jesidischer Pastor ist der von allen anerkannte Chef in Petra. Er hat gute Kontakte zu den Soldaten, die für die Sicherheit des Camps zuständig sind und zu den Koordinatoren der Hilfsorganisationen. Es war für mich schwer einen wirklichen Überblick über die zugelassenen NGOs und ihre verschiedenen Aufgabenbereiche zu bekommen. Ein Problem, dass wahrscheinlich nicht nur ich, sondern auch die Flüchtlinge haben. Der Offizier der griechischen Armee, der mir Auskunft gab, erklärte die Koordination für Petra liege in der Hand des UNHCR. Ein anwesender Mitarbeiter bestätigte das.

Das jetzige Lager in Petra ist für die Jesiden eine Verbesserung, weil es hier wie gesagt keine andere Flüchtlingsgruppe gibt und die Bedrohung und die Angriffe vorbei sind. Aber die Umstände des Lebens im Camp in Petra sind nicht akzeptabel. Angesichts der Dauer des Aufenthaltes hier im Camp seit Mai 2016 ist es auch schwer zu begreifen, warum so vieles nur improvisiert wird. Insbesondere der beginnende Winter in Nordgriechenland macht es unmöglich, dass die Menschen weiter in Zelten leben. Nur für wirklich schwer Erkrankte gibt es in einem alten Gebäude auf dem Gelände zeitweise die Möglichkeit in Zimmern untergebracht zu werden. Auch eine gute ärztliche Betreuung ist nicht gegeben. Ein SAMS Team hält Sprechstunden ab. Uns wurde scharfe Kritik an der Oberflächlichkeit der Untersuchungen und Ausgabe von Medikamente vorgetragen. Es ist fraglich ob die Kinder ausreichend geimpft worden sind. Ein Kind ist an einem Virus gestorben. Ich fand bezeichnend, dass es immer noch Fälle von Krätze gibt.  Die hygienische Situation ist schlecht. Es gibt nur improvisierte Duschen. Obwohl UNHCR für das Camp zuständig ist, werden Medikamente oder Babynahrung aus spendenfinanzierten Vorräten der deutsch/griechischen Bürgerinitiative Kapnikos. Zum Zeitpunkt meines Besuches wurde gerade Frühstück zubereitet. Offene Feuerstellen an den Zelten, Konserven und Kanister standen statt Töpfen auf den Feuern.

Der Pastor und eine Mitarbeiterin einer NGO erklärten uns, dass ein Umzug in ein anderes Lager auf einem Militärgelände angekündigt ist. Die Jesiden selber wollten lieber an diesem Ort bleiben, aber der Bischof in Petra hat sein Einverständnis für die Errichtung von Containern nicht gegeben. Der Umzugstermin ist unklar. Die Jesiden in Petra fürchten einerseits den Winter und wissen, dass Container besser sind als Zelte. Ihr Unbehagen gegenüber dem geplanten Umzug ist auch darin begründet, dass sie eigentlich viele erwarten, dass sie durch Familienzusammenführung und die Umsetzung der Relocation Ziele der EU aus Griechenland weiterreisen können. Eine sehr große Zahl hat Familienangehörige, oft die Väter, in Deutschland. Mir ist es noch nicht geglückt zu klären, warum die Relocation Listen, die von den griechischen Behörden erstellt werden, diese Jesiden bisher nicht erfassen. Alle Bewohner des Camps in Petra sind registriert. Sie haben ihre Pässe abgegeben und stattdessen ein Dokument erhalten, dass die Registrierung bestätigt und ihre Pässe ersetzt. Ich werde den Fragen nach dem Stand der Verfahren in Griechenland und in Deutschland nachgehen. Die Länder Baden-Württemberg und Niedersachsen haben jüngst  in einer Resettlement Maßnahme 1000 Jesiden aus dem Irak übernommen. Es muss schnell geklärt werden, vor dem Winter, ob nicht zumindest die Familienzusammenführung in Deutschland forciert wird. Und es muss dringend geklärt werden, wie die Verabredungen zur Übernahme in andere EU Länder verwirklicht werden und woran die Umsiedlung nach Deutschland scheitert.
 


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