Rebecca Harms

Mitglied des Europäischen Parlaments in der Grünen/EFA Fraktion 2004-2019

#asse    21 | 01 | 2010
Blog

Überraschende Entscheidung zur Asse

AtommüllfässerSelten hat mich eine Nachricht so überrascht wie die über den vorläufigen Ausgang des Vergleiches von Optionen zur Sicherung des abgesoffenen Atommüllendlagers Asse. Ich erinnere mich, dass ich Wetten annehmen wollte. Eine Option werde bestimmt nicht empfohlen, nämlich die Rückholung der Fässer mit radioaktivem Müll aus den Kammern des ehemaligen Salzbergwerkes Asse. Und nun lese ich, dass nicht nur das Bundesamt für Strahlenschutz sondern auch der Bundesumweltminister die Rückholung sämtlicher (!) Abfälle für die sicherste Lösung hält.

 

Keine Rede ist mehr davon, dass das aus der Perspektive des Strahlenschutzes gerade auch für diejenigen, die diese Aufgabe erfüllen müssen, zu gefährlich sei. Selbst die Kosten scheinen angesichts der Tatsache, dass im Atommüllendlager Asse der GAU - der größte anzunehmende Unfall - eingetreten ist, doch eher gering.

Nun sollen Lagerkammern geöffnet und Atommüll-Fässer beprobt und ihr Zustand betrachtet werden, um die Gefahren und Herausforderungen genauer einschätzen zu können. In wenigen Monaten werde dann endgültig das Vorgehen entschieden. Es geht um die Gewährleistung der Langzeitsicherheit, erklärt Bundesumweltminister Röttgen. Gut so! Eine Million Jahre sicherer Einschluss gelten international als notwendig. Eine Million Jahre. Das kann man sich zwar nicht vorstellen, aber so lang ist eben Langzeitsicherheit! Für das von Röttgen zur Endlagerung der Asse-Abfälle bestimmte Endlager Schacht Konrad existiert ein Langzeitsicherheitsnachweis über diesen Zeitraum übrigens nicht. Wer schon mal in der Asse war, ist nicht überrascht, dass Herr Röttgen meint, dass das angesichts des Wassereinbruches in die Grube nicht zu gewährleisten ist. So ist die Entscheidung zur Rückholung nur 30 Jahre nach Ende der Einlagerung in die Asse konsequent. Auch wenn die 30 Jahre eine sehr kurze Zeit für ein Endlager waren.

Asse unter TageVergessen werden darf angesichts der neuen konsequenten Haltung nicht, dass es keine banale Aufgabe ist, was man sich nun vorgenommen hat. Diejenigen, die die gefährlichen Aufräumarbeiten verantworten oder durchführen, tragen eine große und schwere Verantwortung. Jahrzehntelang wurden unverantwortliche, zum Teil gewissenlose und skandalöse Fehlentscheidungen von Politikern, Beamten, Wissenschaftlern und Behörden getroffen. Das fing mit der Auswahl des Schachtes Asse II als Versuchsendlager an. Das setzte sich fort im Alltag bei Genehmigungen und Aufsicht, bei der Einlagerungspraxis und der Dokumentation. Wenn nun endlich nach Wissen und Gewissen entschieden wird, wenn versucht wird, aufzuräumen und Sicherheit wieder herzustellen, dann darf trotzdem nicht vergessen werden, dass es soweit nie hätte kommen dürfen. Vergessen wir auch nicht, dass wir alle ohne den Druck der Bürger aus der Region und ohne den Untersuchungsausschuss im niedersächsischen Landtag immer noch nicht wüssten, dass es in Deutschland zwar noch keinen GAU in einem Atomkraftwerk dafür aber im "Forschungs"endlager Asse gegeben hat. Wie lange das tatsächliche Ausmaß der Havarie und des Skandals versteckt werden konnten, wie wenig Einblick die Politik hatte oder haben wollte, wie viel Zeit und Druck und wie viele Enthüllungen es gebraucht hat, um den Untersuchungsausschuss im Niedersächsischen Landtag durchzusetzen: Man erschrickt immer wieder darüber, dass dieser Atommüll-Thriller in Deutschland spielt. Ich erschrecke bei der Befassung mit der Asse immer wieder über mich selbst. Wo war mein abgrundtiefes, auf 33 Jahre Gorlebenerfahrung gegründetes Misstrauen gegenüber der Atomindustrie und der Atomaufsicht, den Endlagerpäbsten und den Alleskönneringenieuren? Ich muss einfach zugeben, dass ich eine solche wahnsinnig gefährliche Schlamperei mit Atommüll in Deutschland nicht für möglich gehalten habe.

Wie und wann und wo der Fall Asse endet ist offen. Wir müssen jetzt alles tun, damit die mühsam erreichte Transparenz nicht schnell wieder endet. Eine große Herausforderung ist der bevorstehende Prozess der Rückholung, der Behandlung und erneuten Lagerung auch für die Bürger, die die Aufklärung und die Partizipation erreicht haben. Auch sie übernehmen Verantwortung in einer ungeheuren Dimension und löffeln eine Suppe mit aus, die andere ihnen eingebrockt haben. Diese "anderen" müssten jetzt endlich in die Verantwortung für ihr Tun genommen werden.

Bisher kenne ich keinen Wissenschaftler oder Experten, der sich Asche aufs Haupt streut für den Wahnsinn in der Asse. Im Gegenteil: Die Experten des Helmholzentrums, der GRS oder der GSF verdienen wahrscheinlich mit ihrem Expertenverstand weiterhin rund um den Globus Geld mit Gutachten, Beratung und Vorträgen zur Machbarkeit und Sicherheit von Endlagern. Dabei sollten nicht nur die zur Kasse gebeten werden, die wie die Atomindustrie ihre Fässer in der Asse versenkt haben. Jenseits der Frage der Kostenteilung geht es um Verantwortung und Konsequenzen für die, die der Aufgabe offenkundig nicht gewachsen waren. Statt schon vor langer Zeit Alarm zu schlagen, haben sie ihr Scheitern zu Lasten der Sicherheit der Bürger verborgen.



Asse unter Tage_2Der GAU 800 m tief unter den Hügeln bei Reppenstedt ist auch der GAU der deutschen Endlagerforschung. Alle Institutionen in Deutschland, die die wesentlichen Entscheidungen zu Gorleben, zum Schacht Konrad und zu Morsleben getroffen haben, haben auch an und in der Asse mitgewirkt. Die Anstalten des Bundes oder die Forschungsinstitute heißen heute anders als in den Sechziger und Siebziger Jahren. Die Bundesanstalt für Bodenkunde ist in der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe aufgegangen. Das ehemalige Institut für Tiefenlagerung der Gesellschaft für Umwelt und Strahlenforschung, heute bekannt als Helmholzzentrum München, wurde 1995 aufgelöst. Ein Teil blieb bei der GSF. Der Forschungsteil in Braunschweig wurde in die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit mbH (GRS) integriert. Am Institut für Tiefenlagerung war Prof. Kühn von 1973 bis 1995 als Direktor tätig. Danach wurde er "wissenschaftlicher" Leiter der Asse: An der TU Clausthal wurde und wird zur Asse und zu Gorleben gearbeitet. Dort war Herr Kühn ab 1987 Honorarprofessor, später wurde er ordentlicher Professor. Herr Kühn, den man auch als "Endlagerpabst" bezeichnet, gilt in der Atomindustrie international aber auch in vielen Behörden als "der" Experte für Endlagerung.

Als Bürgerin des Wendlands halte ich es für unmöglich, in Kenntnis der Verantwortungs- und Gewissenlosigkeit, mit der in der Asse vorgegangen wurde, noch Entscheidungen zu akzeptieren, die mit Kühn und Co., mit GSF und GRS getroffen worden sind. Die Asse steht auch für den SuperGAU in Sachen Vertrauen. Und das hatte in Gorleben ohnehin schon schwer gelitten durch die Willkür der Standortauswahl Gorleben, bei der politisch opportunistisch und nicht wissenschaftlich geologisch entschieden wurde, durch die Schmiergelder die verdeckt und offen geflossen sind, durch gekaufte Politik und politisch manipulierte Forschungsempfehlungen, um nur ein paar der belastenden Tatsachen anzusprechen. Es kann nicht sein, dass alles das nicht ausreicht um sich endlich für einen Neuanfang in der Endlagersuche zu entscheiden. Ein gewisser Herr Oettinger hat gesagt, dass er höchste Sicherheitsanforderungen für die Endlagerung durchsetzen wolle. In Deutschland, seinem Heimatland, gründet man die Erkundung des einzigen Standortes für hochradioaktiven Müll im Salzstock Gorleben auf die Gutachten und Meinungen von Leuten, die den GAU in der Asse wissentlich in Kauf genommen haben.

Sollte es die Meinung geben, wenn jetzt die Ärmel hochgekrempelt und die Fässer aus der Asse rückgeholt werden, sei damit der Beweis geführt, dass man das dann später auch im Salzstock Gorleben organisieren kann, dann ist das so verrückt wie es die Manager der Asse zu lange waren. Dank des Widerstandes im Wendland wurde noch kein Brennstab in den Gorlebener Salzstock befördert. Es gibt Zeit und die Möglichkeit eine noch größere Katastrophe als die in der Asse zu verhindern. Herr Röttgen muss nicht das Moratorium sondern das Endlagererkundungsbergwerk in Gorleben aufgeben. Eine systematische und ergebnisoffene Suche nach dem bestgeeigneten Standort ist unumgänglich, wenn man nicht mit der Sicherheit von Mensch und Umwelt spielen will. Übrigens hat Herr Oettinger ganz klar gesagt: Geld und wirtschaftliche Interessen dürfen bei dem Streben nach bester Sicherheit keine Rolle spielen.

 

Die in diesem Artikel verwendeten Bilder stammen von bilderbeute.de und wurden von Volker Möll gemacht. Vielen Dank!


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