Rebecca Harms

Mitglied des Europäischen Parlaments in der Grünen/EFA Fraktion 2004-2019

#klima    13 | 01 | 2009

Klimapaketbilanz

Rebecca Harms, 13.01.2009

Das Klimapaket und die internationalen Klimaverhandlungen:
Was muss das Klimapaket der Europäischen Union leisten, um in den internationalen Verhandlungen für ein Kyoto-Nachfolgeabkommen eine Einigung zu erleichtern?

  • Die EU muss ambitionierte CO2-Reduktionen innerhalb der EU erreichen. Der Anteil der Reduktionsmaßnahmen, die außerhalb der EU geleistet werden, muss reduziert werden.
  • Finanzmittel sowohl für Klimamaßnahmen in der EU als auch zur Unterstützung von Entwicklungsländern bei der Reduzierung von Emissionen, bei der Anpassung an die Folgen des Klimawandels und zur Vermeidung voranschreitender Entwaldung müssen bereitgestellt werden. Ein großer Teil der Einnahmen aus der Versteigerung von Emissionsrechten muss deshalb für europäische und internationale Klimamaßnahmen zur Verfügung gestellt werden.
  • Der Automatismus zur Anpassung des Reduktionsziels (aktuell 20 %) an das Ziel, zu dem sich die EU im Rahmen der internationalen Verhandlungen verpflichtet, muss erhalten bleiben.

Die Erreichung dieser drei Ziele ist durch das Ergebnis der Verhandlungen nicht gewährleistet.


Emissionshandel


Automatische Anpassung der Reduktionsziele für CO2 an internationale Vereinbarungen
Der Rat konnte seine Forderung durchsetzen, dass ein neues Mitentscheidungsverfahren zur Anpassung der Gesetzgebung an die neuen Ziele notwendig wird, wenn die EU sich international zu einem höheren Reduktionsziel als der bislang angestrebten 20% verpflichtet. Sowohl Kommission als auch Parlament wollten, dass diese Anpassung automatisch und somit auch ohne Zeitverzögerung statt findet.

100% Versteigerung im Energiesektor
Die Erfahrungen der ersten Handelsperiode haben gezeigt, dass eine kostenlose Zuteilung von Emissionszertifikaten an die Energieerzeuger zu Milliarden Zusatzgewinnen für die Energieindustrie führen. Sowohl das Parlament als auch ein Großteil der Mitgliedsstaaten haben daraus gelernt und akzeptierten deshalb eine 100%ige Versteigerung der Zertifikate für diesen Sektor.
Polen, dessen Stromsektor zu über 80% auf Kohle basiert hat jedoch mit der Unterstützung anderer neuer Mitgliedsstaaten eine Ausnahmeregelung für all jene Länder errungen, die einen großen Anteil Kohleverstromung besitzen und unter einem gewissen GDP level liege. In diesen Ländern muss der Stromsektor in 2013 lediglich 30% der Zertifikate ersteigern, der Rest wird ihnen gratis zugeteilt. Der Versteigerungsanteil wird stufenweise erhöht, bis er auch in diesen Ländern in 2020 100% erreicht.


Auktionierung bei der verarbeitenden Industrie - Carbon leakage
Die freie Zuteilung führt entweder zu Zusatzgewinnen für die Industrie oder zum Verlust des CO2-Preissignals. In jedem Fall aber wird der Anreiz genommen, auf weniger CO2-intensive Produktionsmethoden und Materialien umzusteigen.
Kommission und Parlament hatten sich dafür ausgesprochen, für diesen Bereich anfänglich 80% der Zertifikate frei zuzuteilen und diesen Anteil schrittweise zu senken bis 2020 alle Zertifikate auch in diesem Sektor versteigert werden sollten. Dieser Bereich ist eng verknüpft mit der Diskussion um Carbon leakage, also der Frage, ob energieintensive Industrie in Drittstaaten abwandert, die weniger strenge oder gar keine CO2-Auflagen haben, wenn in der EU CO2-Zertifikate ersteigert werden müssen. Kommission und Parlament wollten erst nach Abschluss der internationalen Klimaverhandlungen, wenn die Reduktionsverpflichtungen aller teilnehmenden Länder bekannt sind, Regeln für die Industriezweige festlegen, die tatsächlich von Carbon leakage betroffen wäre.
Besonders die Deutschen stritten jedoch im Rat hart dafür bereits jetzt Kriterien festzulegen, die beschreibt, welche Sektoren von carbon leakage betroffen sind und deshalb von der Versteigerung vollständig auszunehmen sind. Die Formel, die gefunden wurde enthält den Anteil der Exporte ins außereuropäische Ausland sowie die Energieintensität der Produktion. Als Ergebnis werden 96% der Emissionen im verarbeitenden Sektor durch kostenlose Zertifikatezuteilung abgedeckt.

Zweckbestimmung der Einnahmen aus der Versteigerung der Zertifikate
Das Parlament hatte gefordert, die Einnahmen aus dem Zertifikatehandel vollständig für Klimaausgaben zu verwenden. Dies beinhaltete sowohl Reduktionsmaßnahmen in der EU als auch Reduktions- und Anpassungsmaßnahmen in Entwicklungsländern. Die Mitgliedsstaaten wollten dies nicht bindend vorschreiben. Als Ergebnis gibt es nun lediglich eine freiwilligen Vereinbarung darüber 50% der Einnahmen Klimaprojekten zuzuführen.
Bezeichnenderweise war der Rat allerdings bereit 300 Mio. Emissionszertifikate für CCS-Pilotprojekte zur Verfügung zu stellen - bei einem CO2-Preis von 20 Euro entspricht das immerhin 6 Mrd. Euro.

Anteil CDM
Bei der Frage wie hoch der Anteil der Emissionsreduktionen sein darf, die außerhalb der EU geleistet werden, einigten sich Rat und Parlament darauf, dass 50% der Reduktionen, die im Zeitraum 2008-2020 geleistet werden, durch Zertifikate aus Projekten in Drittstaaten abgedeckt werden dürfen.


Nur die Hälfte der CO2-Reduktionen, die von Energie- und verarbeitender Industrie geleistet werden sollen, müssen in der EU erbracht werden.


Effort sharing


Anteil CDM
Einer der Hauptstreitpunkte war auch bei der Verhandlung um die Lastenteilung, wie hoch der Anteil der Reduktionsleistungen sein darf, die außerhalb der EU erbracht werden. Bereits der von der Kommission vorgeschlagene Anteil lag bei etwa 66 % der Reduktionsmaßnahmen. Das Parlament wollte diesen Anteil reduzieren, so dass fast 80 % der Reduktionsleistungen in der EU erbracht werden sollten. Der Rat bestand jedoch darauf  die Flexibilität sogar noch zu erhöhen. Einige Länder, bei denen beispielsweise der Anteil vom Verkehr an den Emissionen besonders hoch ist, dürfen einen höheren Anteil an CDM Zertifikaten verwenden als zunächst vorgesehen. Der Gesamtanteil von CDM an den Emissionsreduktionen außerhalb des ETS kann so bis zu 80% betragen. Dies war der Hauptgrund, warum die Grünen diesem Kompromiss letztendlich nicht zustimmen konnten.


Nur 20% der CO2-Reduktionen in den Sektoren außerhalb des Emissionshandels (Verkehr, Gebäude, etc.) muss in der EU erbracht werden.

Interne Flexibilität und Strafmechanismus
Die Emissionen außerhalb des ETS müssen jährlich linear abnehmen, um das landesspezifische Reduktionsziel in 2020 zu erreichen. Die Mitgliedsstaaten können einen begrenzten Anteil der Quote des folgenden Jahres verwenden, wenn sie das Ziel für das aktuelle Jahr verfehlen oder Emissionsminderungen, die über das jährliche Ziel hinaus gehen, mit dem Ziel des folgenden Jahres verrechnen. Auch zwischen den Mitgliedsstaaten können Emissionsmengen gehandelt werden.
Das Parlament hatte starke Strafmechanismen für das Verfehlen der Ziele gefordert, um die Implementierung von entsprechenden CO2 Minderungsmaßnahmen in den Mitgliedsstaaten sicher zu stellen. Von den vom Parlament dazu vorgebrachten Vorschlägen blieb lediglich ein Multiplikator im Kompromiss enthalten. Das heißt, dass Emissionsminderungen, die in einem Jahr nicht erbracht wurden, werden mit dem Faktor 1,08 multipliziert. Diese etwas höheren Emissionsminderungen müssen dann im Folgejahr erbracht werden.


Richtlinie für Erneuerbare Energien


Kooperation zwischen den Mitgliedsstaaten
Mitgliedsstaaten können Investitionen in Erneuerbare Projekte in anderen Mitgliedsstaaten ihrem nationalen Ausbauziel anrechnen. Im Gegensatz zum Vorschlag der Kommission, der eine Art Zertifikatehandel vorsah, wird so Flexibilität für die Erreichung des Ziels geschaffen ohne die nationalen Fördersysteme, wie das EEG in Deutschland, zu gefährden.

Überprüfung der Richtlinie in 2014
Der Rat forderte eine allgemeine Überprüfung der Richtlinie in 2014, was die Investitionssicherheit für die Industrie gefährdet hätte. Im Ergebnis einigte man sich auf eine Überprüfung der Richtlinie, die allerdings sowohl die nationalen Ausbauziele als auch den Kooperationsmechanismus unangetastet lassen wird.

Agrofuels
Die Erneuerbaren Richtlinie enthält auch ein 10% Ausbauziel für Erneuerbare im Transportbereich. Dieses Ziel beinhaltet neben Pflanzenkraftstoffen auch Elektro- und Wasserstofffahrzeuge, deren Antrieb auf Erneuerbaren basiert. Zusammen mit Kraftstoffen aus Abfallprodukten bzw. Pflanzen, die nicht auch der Nahrungsmittelproduktion dienen, können Elektro- und Wasserstoffantriebe sowie Erneuerbarer Strom zum Antrieb von Zügen etwa 20% des Ausbauziels im Transportsektor abdecken. Der Bedarf an Pflanzenkraftstoffen der ersten Generation, die mit der Nahrungsproduktion konkurrieren, die in ihrer Klimabilanz oft fragwürdig und deren Anbaumethoden häufig umweltschädlich sind, wird dadurch reduziert. Darüber hinaus wird dieses Ziel im Jahr 2014 überprüft.
Bei der Frage der Nachhaltigkeitskriterien akzeptierte der Rat die strengen CO2-Minderungsanforderungen im Vergleich zu herkömmlichen Kraftstoffen, die das Parlament gefordert hatte, nicht. Man einigte sich auf Reduktionen von 35 % (zu Beginn der Regulierung) und 50 % (ab 2017). Insgesamt wurden die Nachhaltigkeitskriterien im Vergleich zum Kommissionsvorschlag verbessert und werden zukünftig (sobald die Kommission einen Vorschlag zur Implementierung gemacht hat) auch die Folgen der indirekten veränderten Landnutzung enthalten.


CO2 Ausstoß von Autos: Ergebnis der Verhandlungen


Beginn der Regulierung
Der Vorschlag der Kommission, der im Umweltausschuss des Europaparlaments bestätigt wurde, für 2012 einen durchschnittlichen CO2Ausstoß von 130 g/km (weitere Reduktion von 10 g/km durch zusätzliche Maßnahmen, wie Pflanzenkraftstoffe, Leichtlaufreifen etc.) festzusetzen, hat sich in den Verhandlungen nicht durchsetzen können. Es wurde eine schrittweise Einführung der Grenzwerte beschlossen. 2012 werden lediglich 65 % der Fahrzeugflotte das Ziel erreichen müssen. Das führt zu einem Gesamtdurchschnitt von etwa 150 g/km. 2013 sollen 75 % der Fahrzeugflotte, 2014 80 % der Fahrzeugflotte das Ziel erreichen. Erst 2015 soll gilt das Ziel von 130 g/km für die gesamte Flotte.
Aufweichung in 2012: etwa 20 g/km

Ziel für 2020
Der Rat scheint nach langen internen Diskussionen ein bindendes Ziel von 95 g/km für das Jahr 2020 zu akzeptieren. Dies war für das Parlament der entscheidende Punkt für eine Einigung. Jedoch hat sich der Berichterstatter des Parlaments mit einer Formulierung zufrieden gegeben, nach der das 2020 Ziel erst in einer Überprüfung der Regulierung bindend festgelegt wird. Zudem wurde nicht explizit die Erreichung durch im Testverfahren messbare Maßnahmen festgelegt, was Tür und Tor für die Anrechnung zusätzlicher Maßnahmen öffnet und somit den Grenzwert aufweicht.

Strafzahlungen
Auf Druck einiger Mitgliedsstaaten wurde ein so genannter Korridor festgelegt, der geringere Strafzahlungen vorsieht, wenn ein Hersteller sein spezifisches Ziel um weniger als 3 g verfehlt. Überschreitung um 1g wird mit 5 Euro, um 2g mit 10 Euro und 3g mit 25 Euro pro verkauftem Fahrzeug geahndet. Praktisch bedeutet das jedoch, dass es für die Hersteller günstiger sein wird, ihr Ziel um bis zu 3 g zu überschreiten und die Strafen zu zahlen, anstatt die notwendigen technologischen Veränderungen an den Fahrzeugen vorzunehmen und den CO2-Ausstoß zu senken. Erst ab 2019 werden die vollen Strafzahlungen von 95 Euro pro g CO2 Überschreitung gelten. Wer davon ausgeht, dass die Automobilindustrie auch nach 2015 noch eine derartige Abfederung der Strafzahlungen benötigt, meint es auch mit dem Ziel für 2020 nicht ernst. Sollte die Flotte 2015 noch deutlich über 130 g/km liegen, wird es kaum möglich sein 5 Jahre später das 95 g-Ziel zu erreichen.
Aufweichung bis 2019: 3 g/km

Öko-Innovationen
Bis zu 7 g der CO2-Reduktionen darf durch so genannte Öko-Innovationen erreicht werden. Dies sind Maßnahmen, die derzeit nicht vom Messverfahren erfasst werden können. Der durchschnittliche CO2-Wert einer Herstellerflotte, der im Testzyklus gemessen wird, darf so 7 g über dem Ziel liegen. Zeitlich begrenzt wird diese Anrechnung durch eine vorgesehene Überholung des Testverfahrens, das zukünftig auch weitere Maßnahmen zur CO2-Reduktion erfassen soll.
Aufweichung bis zur Überholung des Testzyklus: 7 g/km

Super credits
Fahrzeuge, die bis zu 50 g CO2/km ausstoßen, sollen in der Herstellerbilanz mehrfach gewertet werden. In 2012 und 2013 ist eine 3,5fach-Wertung dieser Fahrzeuge vorgesehen. 2014 werden diese Fahrzeuge 2,5fach und 2015 1,5fach gewertet. Der so errechnete Durchschnitt entspricht so nicht den tatsächlichen durchschnittlichen CO2 Emissionen. Ab 2016 entfällt diese Zusatzwertung.
Aufweichung in 2012: etwas mehr als 2 g/km

2012 wäre somit ein durchschnittlicher CO2-Wert von 162 g/km im Rahmen der Regulierung möglich. Der heutige Durchschnittswert liegt bei 158 g/km.


Kohlenstoff-Abscheidung und -Lagerung (CCS)
Der Kommissionsvorschlag sollte vor allem die rechtlichen Rahmenbedingungen für die geologische Lagerung con CO2 schaffen, um den Betrieb von CCS Anlagen zu ermöglichen. Hauptpunkte waren die geologischen Gegebenheiten, die erfüllt werden müssen, Fragen der Haftbarkeit im Falle von Unfällen oder Lecks im Zusammenhang mit CO2 Lagerstätten und Verantwortlichkeiten zur Überwachung und Betrieb der Lagerstätten über lange Zeiträume. Die politische Debatte kreiste jedoch um zwei Themen - die Finanzierung, die jedoch in erster Linie im Emissionshandel relevant war (siehe oben) und einen CO2 Emissionsstandard für neue Kraftwerke.

CO2-Emissionsstandard
Das Parlament hatte sich in seiner Abstimmung für einen CO2-Emissionsstandard von 500 g CO2/kWh ab 2015 ausgesprochen. Dies würde ein Bauverbot für konventionelle Kohlekraftwerke ohne Kraft-Wärme-Kopplung ab 2015 bedeuten. Im Endergebnis ist jedoch lediglich davon die Rede, dass neue Kraftwerke 'capture ready' sein müssen. Das bedeutet zunächst nicht viel mehr als dass bei der Planung eines neuen Kohlekraftwerks jener Platz mit eingeplant werden muss, den man bei der eventuellen Nachrüstung mit der CCS Technik brauchen würde.

Transport von CO2
Das Parlament hatte gefordert eine Risikoanalyse für den CO2 Transport zu erstellen, der zwangsläufig mit der Nutzung der CCS Technologie verbunden ist. Dies wurde jedoch nicht in den Kompromisstext aufgenommen.

 

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